Sie sind hier: Home » Recht » Deutschland » Bundesarbeitsgericht

Tarifgebundenheit und Tarifverträge


BAG: Gewerkschaftseintritt eines Arbeitnehmers während der Nachbindung (§ 3 Abs. 3 TVG) des Arbeitgebers
Die Revision der Beklagten hatte vor dem Vierten Senat des Bundesarbeitsgerichts teilweise Erfolg

(06.09.11) - Ein Arbeitgeber ist nach seinem Verbandsaustritt an die vom Arbeitgeberverband bis zu diesem Zeitpunkt geschlossenen Tarifverträge kraft Nachbindung (§ 3 Abs. 3 TVG) bis zu deren Ende unmittelbar und zwingend gebunden. Tritt ein Arbeitnehmer während dieser Zeit in die Gewerkschaft ein, die die Tarifverträge geschlossen hat, wirken diese Tarifverträge nach § 4 Abs. 1 TVG unmittelbar und zwingend. Eine vorherige arbeitsvertragliche Vereinbarung, die Abreden unterhalb des Niveaus der Tarifverträge enthält, wird damit durch die normative Wirkung der Tarifverträge verdrängt. Diese Tarifgebundenheit hält so lange an, bis die Tarifverträge - jeweils - enden.

Die beklagte Arbeitgeberin war zum 31. Dezember 2005 aus dem Metall-Arbeitgeberverband ausgetreten. Zu dieser Zeit wurden die Arbeitsverhältnisse in der Metallindustrie tariflich durch das Neben- einander der bisherigen Mantel- und anderen Tarifverträge und der neuen Tarifverträge zur Regelung der Arbeitsverhältnisse nach der Einführung des grundlegend neuen Entgeltrahmenabkommens (ERA) beherrscht, die betrieblich zwischen dem 1. März 2005 und dem 29. Februar 2008 umgesetzt werden sollten. Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit betrug in beiden Systemen 35 Stunden.

Bereits im Sommer 2005 hatten zahlreiche Arbeitnehmer der Beklagten, darunter auch der nicht tarifgebundene Kläger, für den Zeitraum ab dem 1. Januar 2006 Arbeitsverträge mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden unterzeichnet, die vom Kläger auch geleistet wurden. Ende 2005 wurde eine Betriebsvereinbarung geschlossen, die u.a. die Führung eines Arbeitszeitkontos auf der Basis einer 40-Stunden-Woche vorsah. Im Herbst 2007 machte der Kläger, der am 1. Juli 2006 in die IG Metall eingetreten war, gerichtlich die Feststellung geltend, dass für sein Arbeitsverhältnis insgesamt 13 Tarifverträge der Metallindustrie Anwendung fänden, und begehrte überdies u.a. die Gutschrift von 189,5 Stunden auf seinem Arbeitszeitkonto. Die Klage war in den Vorinstanzen im Wesentlichen erfolgreich. Einige Monate nach der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts vereinbarte die Beklagte mit der IG Metall einen Haustarifvertrag, in dem weitgehend auf die bisherigen Tarifverträge verwiesen wurde, die wöchentliche Arbeitszeit jedoch mit 40 Wochenstunden geregelt ist.

Die Revision der Beklagten hatte vor dem Vierten Senat des Bundesarbeitsgerichts teilweise Erfolg. Für die vom Landesarbeitsgericht ausgesprochene Feststellung der Geltung der Metall-Tarifverträge fehlt dem Kläger spätestens seit dem Abschluss des Haustarifvertrages das erforderliche Feststellungsinteresse. Im Übrigen war zwar für die Zeit bis zu dessen Vereinbarung eine wöchentliche regelmäßige Arbeitszeit von 35 Stunden verbindlich, da der Beitritt des Klägers zur Gewerkschaft eine beiderseitige Tarifgebundenheit im Sinne von § 4 Abs. 1 TVG herbeigeführt hat. Dafür genügte es, dass die beklagte Arbeitgeberin zum Zeitpunkt des Gewerkschaftsbeitritt im Wege der Nachbindung nach § 3 Abs. 3 TVG an den Tarifvertrag gebunden war.

Das Gesetz unterscheidet nicht zwischen zwei verschiedenen Bindungsarten. Die vom Kläger auf diese Tarifverträge gestützte Klage auf Verurteilung des Arbeitgebers zu einer von der 35-Stunden-Woche ausgehenden Gutschrift auf seinem Arbeitszeitkonto blieb jedoch erfolglos, weil die Betriebsvereinbarung zum Arbeitszeitkonto für eine Regelarbeitszeit von 40 Wochenstunden getroffen worden ist. Wenn dem Kläger insofern Arbeitsstunden nicht vergütet worden sind, die er geleistet hat, kann er lediglich deren Vergütung verlangen, nicht aber deren "Einbringung" als Guthaben in das anders geregelte Arbeitszeitkonto.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 6. Juli 2011 - 4 AZR 424/09 -
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 28. November 2008 - 7 Sa 54/08 -
(Pressemitteilung des BAG: ra)


Kostenloser Compliance-Newsletter
Ihr Compliance-Magazin.de-Newsletter hier >>>>>>


Meldungen: Bundesarbeitsgericht

  • Betriebsratswahl angefochten

    Für die Wahl des Betriebsrats kann der Wahlvorstand denjenigen Arbeitnehmern, von denen ihm bekannt ist, dass sie im Zeitpunkt der Wahl wegen vorübergehender mobiler Arbeit oder wegen Kurzarbeit voraussichtlich nicht im Betrieb anwesend sein werden, die Unterlagen für eine schriftliche Stimmabgabe ohne einen entsprechenden Antrag übersenden.

  • Geldwerte materielle Arbeitsbedingungen

    Definieren Tarifvertragsparteien als außertariflich diejenigen Angestellten, deren geldwerte materielle Arbeitsbedingungen diejenigen der höchsten tariflichen Entgeltgruppe überschreiten, ohne einen bestimmten prozentualen Abstand festzusetzen, genügt für Status und Vergütung des außertariflichen Angestellten jedes - auch nur geringfügige - Überschreiten.

  • Erbrachte Arbeitsleistung & Feiertagszuschläge

    Für Beschäftigte, die unter den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) fallen, richtet sich der Anspruch auf Feiertagszuschläge danach, ob am regelmäßigen Beschäftigungsort ein gesetzlicher Feiertag ist. Der Kläger, dessen regelmäßiger Beschäftigungsort in Nordrhein-Westfalen liegt, nahm auf Anordnung seines Arbeitgebers vom 1. bis 5. November 2021 an einer Fortbildungsveranstaltung in Hessen teil.

  • Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte

    Betreiber von Pflegeeinrichtungen iSd. vormaligen § 20a Abs. 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG aF) durften in der Zeit vom 16. März 2022 bis zum 31. Dezember 2022 nicht gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 geimpfte Mitarbeiter ohne Fortzahlung der Vergütung von der Arbeit freistellen. Zur Abmahnung dieser Arbeitnehmer waren die Arbeitgeber dagegen nicht berechtigt.

  • (Gesundheits-)Daten betroffener Arbeitnehmer

    Die Verarbeitung von Gesundheitsdaten durch einen Medizinischen Dienst, der von einer gesetzlichen Krankenkasse mit der Erstellung einer gutachtlichen Stellungnahme zur Beseitigung von Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit eines Versicherten beauftragt worden ist, kann nach Art. 9 Abs. 2 Buchst. h DSGVO* auch dann zulässig sein, wenn es sich bei dem Versicherten um einen eigenen Arbeitnehmer des Medizinischen Dienstes handelt.

Wir verwenden Cookies um unsere Website zu optimieren und Ihnen das bestmögliche Online-Erlebnis zu bieten. Mit dem Klick auf "Alle akzeptieren" erklären Sie sich damit einverstanden. Erweiterte Einstellungen