Nach Lidl: Datenschutz und Mitarbeiterbespitzelung


Kein konkreter Handlungsbedarf: Deutsche Bundesregierung hält Arbeitnehmerdatenschutz für ausreichend geregelt
Benachteiligungsverbot des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) ist bei der Zulässigkeit der Erhebung und Verwendung von Arbeitnehmerdaten zu berücksichtigen


(05.06.08) - Die Deutsche Bundesregierung sieht mit Blick auf die jüngsten Fälle von Mitarbeiterbespitzelung im Einzelhandel (Stichwort: Lidl) keinen konkreten Handlungsbedarf beim Arbeitnehmerdatenschutz. Wichtige Teilaspekte des Arbeitnehmerdatenschutzes seien bereits geregelt, hebt die Regierung in ihrer Antwort (16/9178) auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion (16/8939) hervor.

Zudem sei das Benachteiligungsverbot des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes bei der Zulässigkeit der Erhebung und Verwendung von Arbeitnehmerdaten zu berücksichtigen.

Gleichwohl werde sie "auch künftig die arbeitsrechtliche Flankierung der weiteren technischen Veränderungen in der Arbeitswelt unterstützen", schreibt die Regierung. Eine Erhöhung des Bußgeldrahmens bei Verstößen gegen den Arbeitnehmerdatenschutz hält sie nicht für erforderlich. Über die Höhe der zu verhängenden Bußgelder entscheide die zuständige Aufsichtsbehörde des Landes. Der Bundesregierung sei bislang kein Fall bekannt, in dem der bestehende Bußgeldrahmen nicht ausgereicht habe, Verstöße angemessen zu ahnden.

Vorbemerkung der Fragesteller
Der Deutsche Bundestag hat die Bundesregierung mehrfach aufgefordert, den Arbeitnehmerdatenschutz zu stärken und fraktionsübergreifend gemeinsame Entschließungen dazu beschlossen (vergleiche z. B. Bundestagsdrucksache 16/4882 – Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses zu der Unterrichtung durch den Bundesbeauftragten für den Datenschutz – 20. Tätigkeitsbericht, Ziffer 3). Gleichwohl sind gesetzgeberische Aktivitäten der Bundesregierung bislang nicht feststellbar.

Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung entfaltet im privaten Bereich eine Drittwirkung, die beachtet werden muss. Die elektronische Verarbeitung von Mitarbeiterdaten spielt eine immer größere Rolle. Zudem zeigen die jüngsten Vorfälle im Einzelhandel, dass der Einsatz von Spitzeln, Detektiven und verdeckten Kameras sowie das Erstellen von Protokollen über private Angelegenheiten kein Einzelfall ist. Aufgrund fehlender Regelungen zum Arbeitnehmerdatenschutz sind Arbeitgeber und Arbeitnehmer darauf angewiesen, sich an der Rechtsprechung zu orientieren, die stark einzelfallbezogen ist.

1. Wie bewertet die Bundesregierung die bisher bekannt gewordenen Überwachungsmethoden von Kunden und Mitarbeitern im Einzelhandel in datenschutz- und arbeitsrechtlicher Hinsicht?

(BDSG) zu beachten, z. B. zur Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit optisch elektronischen Einrichtungen (§ 6b BDSG) und allgemein zur Datenerhebung, -verarbeitung und -nutzung für eigene Zwecke (§ 28 BDSG). Die rechtliche Bewertung der bisher bekannt gewordenen Überwachungsfälle von Kunden im Einzelhandel ist Aufgabe der für den Datenschutz im nicht-öffentlichen Bereich zuständigen Aufsichtsbehörde des jeweiligen Landes.

Die heimliche Videoüberwachung eines Arbeitnehmers am Arbeitsplatz stellt einen Eingriff in das verfassungsrechtlich geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht (Artikel 1 Abs. 1 und Artikel 2 Abs. 1 Grundgesetz) dar. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann die heimliche Videoüberwachung eines Arbeitnehmers nur gerechtfertigt sein, wenn überwiegend schutzwürdige Interessen des Arbeitgebers sie erfordern. Es muss ein konkreter Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers bestehen und der Einsatz verdeckter Videokameras muss die einzige Möglichkeit sein, den Täter zu ermitteln. Bei einer Videoüberwachung öffentlich-zugänglicher Arbeitsplätze, zu denen auch Verkaufsräume zählen können, ist nach § 6b BDSG vor der Überwachung erkennbar zu machen, dass beobachtet wird und wer beobachtet wird. In Betrieben mit Betriebsrat ist das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) zu beachten (s. dazu auch Antwort auf Frage 2 und 3).

2. Welche Möglichkeiten haben Kunden und Mitarbeiter, sich gegen derartige Überwachungsmaßnahmen zu wehren?
3. Gehören hierzu auch Beseitigungs-, Unterlassungs-, Schadenersatz- und Schmerzensgeldansprüche, wenn ja, unter welchen Voraussetzungen und hinsichtlich welcher Fallkonstellationen?

Kunden können sich an die zuständigen Aufsichtsbehörden für den Datenschutz im nicht-öffentlichen Bereich des Landes wenden, wenn sie der Ansicht sind, bei der Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung ihrer personenbezogenen Daten durch ein Unternehmen in ihren Rechten verletzt worden zu sein (§ 38 Abs. 1 Satz 8 BDSG in Verbindung mit § 21 Satz 1 BDSG). Fügt ein Unternehmen einem Kunden durch eine unzulässige oder unrichtige Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung seiner personenbezogenen Daten einen Schaden zu, ist das Unternehmen dem Kunden zum Schadensersatz verpflichtet (§ 7 BDSG).

Ein Arbeitgeber verstößt gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten, wenn er durch unzulässige Überwachungsmaßnahmen das Persönlichkeitsrecht eines Arbeitnehmers verletzt. Bei einem objektiv rechtswidrigen Eingriff kann der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber entsprechend §§ 12, 862, 1004 BGB die Beseitigung der Beeinträchtigung und bei Wiederholungsgefahr die Unterlassung weiterer Eingriffe verlangen. Bei schuldhafter (d. h. vorsätzlicher oder fahrlässiger) Verletzung des Persönlichkeitsrechts durch den Arbeitgeber hat der Arbeitnehmer darüber hinaus Anspruch auf Schadensersatz (§§ 280 Abs. 1, 823 Abs. 1 BGB) sowie auf Zahlung eines Schmerzensgeldes (§§ 280 Abs. 1, 823 Abs. 1 BGB, i. V. m. § 253 BGB). Durch eine unzulässige Videoüberwachung erlangte Beweise dürfen im Prozess (z. B. bei einer Kündigung) nicht verwertet werden. Betriebsräte haben ebenso wie Arbeitgeber die freie Entfaltung der Persönlichkeit der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu schützen (§ 75 Abs. 2 BetrVG).

Daher ist die Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen, mitbestimmungspflichtig (§ 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG). Durch dieses Mitbestimmungsrecht sollen frühzeitig unzulässige Eingriffe in den Persönlichkeitsbereich von Arbeitnehmern verhindert werden und der Schutz des Arbeitnehmers vor anonymen Kontrolleinrichtungen sichergestellt werden. Führt der Arbeitgeber ohne Zustimmung des Betriebsrats oder eine entsprechende Entscheidung der Einigungsstelle eine technische Überwachung ein, kann der Betriebsrat die Einführung oder Nutzung gerichtlich untersagen lassen.

4. Sieht die Bundesregierung bezogen auf den Arbeitnehmerdatenschutz gesetzgeberischen Handlungsbedarf, wenn ja, in welche Richtung, und ist noch in dieser Wahlperiode mit der Vorlage eines Gesetzesentwurfs zu rechnen?
5. Beabsichtigt die Bundesregierung, in einem solchen Gesetzentwurf auch Regelungen zum Einsatz von Überwachungskameras am Arbeitsplatz, besondere Regelungen zur Speicherung von arbeitnehmerbezogenen Daten und zur Nutzung von E-Mail und Internetdiensten am Arbeitsplatz zu treffen?
6. Welche weiteren Grundsätze sollten nach Ansicht der Bundesregierung gesetzlich geregelt werden, und wie begründet sie ihre diesbezügliche Auffassung?

Die Bundesregierung hat in der Vergangenheit die Notwendigkeit moderner bereichsspezifischer Datenschutzregelungen im Arbeitsverhältnis anerkannt. Sie wird – über konkrete Einzelfälle hinaus– auch künftig die arbeitsrechtliche Flankierung der weiteren technischen Veränderungen in der Arbeitswelt unterstützen. Wichtige Teilaspekte des Arbeitnehmerdatenschutzes sind bereits geregelt.

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) schließt jede Benachteiligung von Arbeitnehmern wegen des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters, der sexuellen Identität, der Rasse oder ethnischen Herkunft bei der Einstellung sowie bei der Durchführung und der Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus. Das Benachteiligungsverbot des AGG ist bei der Zulässigkeit der Erhebung und Verwendung von Arbeitnehmerdaten (Fragerecht des Arbeitgebers) und bei der Gewährung von Leistungen zu berücksichtigen. Ein Schwerpunkt des derzeit in Vorbereitung befindlichen Gendiagnostikgesetzeswerden Regelungen über die Erhebung und Verwendung genetischer Daten im Arbeitsleben sein.

7. Hält die Bundesregierung eine Erhöhung des Bußgeldrahmens im Bundesdatenschutzgesetz (§ 43 Abs. 3 BDSG) nach den jüngsten Vorfällen im Einzelhandel für erforderlich, und wenn ja, auf welche Höchstsumme sollte der Rahmen nach Auffassung der Bundesregierung erweitert werden?

Über die Höhe der zu verhängenden Bußgelder entscheidet die zuständige Aufsichtsbehörde des Landes. Der Bundesregierung ist bislang kein Fall bekannt geworden, in dem der bestehende Bußgeldrahmen nicht ausgereicht hat, Verstöße angemessen zu ahnden. Die Bundesregierung sieht daher gegenwärtig keine Veranlassung zur Erhöhung des Bußgeldrahmens im Bundesdatenschutzgesetz (§ 43 Abs. 3 BDSG).

8. Welche Vorstellungen hat die Bundesregierung hinsichtlich eines umfassenden Informantenschutzes im Arbeitsrecht, und mit welchen Mitteln möchte sie dieses Ziel umsetzen?
9. Sollte im Bürgerlichen Gesetzbuch nach den Vorstellungen der Bundesregierung ein umfassendes Anzeigerecht verankert werden, und wenn ja, wie soll das konkret aussehen?

Die Verbesserung des Informantenschutzes für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wird gegenwärtig im politischen Raum erörtert.

10. Welche Bestrebungen gibt es auf europäischer Ebene, den Arbeitnehmerdatenschutz zu regeln?

Der Bundesregierung sind keine neuen Überlegungen der EU-Kommission zur Schaffung eines Gemeinschaftsrahmens für den Datenschutz im Arbeitsverhältnis bekannt.

11. Welche Auffassung vertritt die Bundesregierung hinsichtlich der in der beruflichen Praxis immer häufiger festzustellenden Übermittlung polizeilicher und nachrichtendienstlicher Erkenntnisse an Arbeitgeber zur Überprüfung von Bewerbern, Beschäftigten und Fremdpersonal, z. B. Reinigungskräfte, außerhalb gesetzlicher Grundlagen?
12. Sieht die Bundesregierung hierin und in dem Umstand, dass polizeiliche und nachrichtendienstliche Daten nicht zwingend gesicherte Erkenntnisse sein müssen, die Gefahr, dass die gesetzgeberische Grundentscheidung unterlaufen wird, in einem so genannten Führungszeugnis dem Arbeitgeber nur ganz bestimmte justizielle Informationen zu einer Person zugänglich zu machen, und wie begründet sie ihre diesbezügliche Auffassung?

13. Welche Anforderungen sind nach Auffassung der Bundesregierung an die Wirksamkeit der Einwilligung des Arbeitnehmers zur Einholung derartiger Auskünfte zu stellen?

Über die polizeiliche Praxis in den Ländern liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor.

Es trifft zu, dass Arbeitgeber in der Vergangenheit direkt beim BKA um Auskünfte zu (künftigen) Mitarbeitern gebeten haben. Teilweise haben Arbeitgeber Mitarbeiter veranlasst, entsprechende Auskünfte beim BKA einzuholen. Das BKA hat die erbetenen Auskünfte jedoch nicht erteilt. Die Verweigerung der Auskunftserteilung gegenüber dem Arbeitgeber wurde auf § 12 Abs. 5 BKAG (Gesetz über das Bundeskriminalamt und die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in kriminalpolitischen Angelegenheiten) i. V. m. § 19 BDSG gestützt, da das Auskunftsrecht dem Betroffenen selbst vorbehalten ist. Der Arbeitgeber wurde darauf hingewiesen, dass die Möglichkeit besteht, sich ein "Führungszeugnis" des Mitarbeiters nach § 30 Bundeszentralregistergesetz vorlegen zu lassen.

Sofern der betroffene Mitarbeiter oder Bewerber selbst die Anfrage gestellt hat und dem BKA Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass das Auskunftsersuchen zum Zwecke einer "Sicherheitsüberprüfung" durch den Arbeitgeber gestellt worden war, wurde dem anfragenden Mitarbeiter mitgeteilt, dass das höchstpersönliche Auskunftsrecht nach § 19 BDSG einen anderen Zweck verfolgt. Für den Fall, dass der Mitarbeiter sein – eigenes – Auskunftsersuchen dennoch aufrecht erhalten wollte, wurde ihm durch das BKA angeboten, das Ergebnis der datenschutzrechtlichen Überprüfung bei seiner örtlichen Polizeidienststelle zur dortigen mündlichen Eröffnung (vgl. § 19 Abs. 1 Satz 4 BDSG) zu hinterlegen.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) übermittelt keine personenbezogenen Daten an "andere Stellen" außerhalb gesetzlicher Grundlagen. Gemäß § 19 Abs. 4 BVerfSchG (Bundesverfassungsschutzgesetz) übermittelt das Bundesamt für Verfassungsschutz personenbezogene Daten an "andere Stellen" nur unter den dort genannten Voraussetzungen.

Der Militärische Abschirmdienst (MAD) übermittelt personenbezogene Daten gemäß § 11 Abs. 1 MADG (Gesetz über den militärischen Abschirmdienst) i. V. m. § 19 Abs. 4 BVerfSchG an anderer Stelle nur, wenn dies zur Erfüllung der in § 19 Abs. 4 Satz 1 BVerfSchG genannten Zwecke erfolgt. Eine in der o. a. Anfrage davon abweichende Praxis ist nicht bekannt.
(Deutsche Bundesregierung: ra)


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