Solvency II: Sorge um kleine Versicherer


Solvency II-Compliance: Bei der Neuregelung der Versicherungsaufsicht werde zum Teil weit über die europäischen Vorgaben hinausgegangen
Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung der Finanzaufsicht über Versicherungen

(22.12.14) - Sachverständige haben eine Zuordnung der Rückstellungen für die Beitragsrückerstattung (RFB) zu den Eigenmitteln der Lebensversicherungen völlig unterschiedlich beurteilt. In einer öffentlichen Anhörung des Finanzausschusses zu dem von der Deutschen Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung der Finanzaufsicht über Versicherungen (18/2956, 18/3252) bezeichnete Professor Hans-Peter Schwintowski (Humboldt-Universität Berlin) die Benutzung von Kundengeldern als Eigenkapital, obwohl die Kunden keine Eigentümer seien, als Verstoß gegen das Grundgesetz. Außerdem wandte er sich gegen eine Bevorzugung der Aktionäre im Vergleich zu Versicherungsnehmern.

Versicherten dürfe nach den Vorschriften keine Überschussbeteiligung zugewiesen werden, solange nicht ein Gewinn in Höhe von mindestens vier Prozent des Grundkapitals verteilt worden sei. Aktionäre bekämen also zunächst vier Prozent vom Bilanzgewinn, während die Versicherten, mit deren Geld die vier Prozent erwirtschaftet worden seien, erst danach an die Reihe kämen. "In jedem anderen Unternehmen ist es umgekehrt", so Schwintowski in seiner Stellungnahme. Auch der Bund der Versicherten konnte nicht nachvollziehen, dass die Rückstellungen für die Beitragsrückerstattung, die ausschließlich den Kunden gehören würden, als Risikokapital verwendet werden könnten.

Dem widersprach Professor Fred Wagner (Institut für Versicherungswissenschaften an der Universität Leipzig). Die RFB-Mittel würden durch Überschüsse entstehen. Die Versicherten würden dieses Geld auch in aller Regel erhalten. Sie würden allerdings erst nach etwa zwei Jahren von den freien RFB in die gebundenen RFB überführt und damit den Versicherten direkt zugeordnet. Die freien RFB seien eine Art Risikopuffer. Auch gebe es keine Garantien für Aktionäre. Auch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht bezeichnete die Verwendung von RFB als Eigenmittel als nicht neu. Das System habe schon immer sehr gut funktioniert.

In der Anhörung wurde der Bundesregierung auch vorgehalten, bei der Neuregelung der Versicherungsaufsicht zum Teil weit über die europäischen Vorgaben hinauszugehen und kleine Versicherer zu benachteiligen. Mit dem Gesetzentwurf, der die europäische Solvabilität II-Richtlinie (Solvency II) umsetzt, soll die Aufsicht über die Versicherungen gestärkt und es soll dem Aufbau von Risiken im Bereich der Versicherungsunternehmen frühzeitig entgegengewirkt werden. Kern der Neuregelung sind umfassendere, risikoorientierte Eigenmittelvorschriften für die Versicherungsunternehmen.

Professor Hermann Weinmann vom Institut für Finanzwirtschaft an der Hochschule Ludwigshafen sagte, mittelständische Versicherer könnten durch die Neuregelungen in einen "Schicksalskampf" geraten. Er erklärte, Aufgabe des Gesetzgebers sollte es sein, börsennotierte große Konzerne nicht über Gebühr zu bevorteilen und auch dem "Mittelstand" der Versicherer eine aussichtsreiche Zukunftsoption zu eröffnen. Professor Dietmar Pfeifer (Universität Oldenburg) empfahl in seiner schriftlichen Stellungnahme, die Vorgaben der Richtlinie im Zweifelsfall grundsätzlich zu Gunsten der kleinen und mittleren Unternehmen auszulegen. Der deutsche Versicherungsmarkt werde im Gegensatz zu einigen anderen EU-Ländern in erheblichem Maß von Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit (VVaG) geprägt. Kleine Unternehmen hätten zum Teil nur einen zweiköpfigen Vorstand, so dass sich die personelle Trennung von Funktionen wie Revision, Organisation und andere "nicht ohne erheblichen und gegebenenfalls substanzgefährdenden Kostenaufwand durchführen" lasse.

Der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) kritisierte in seiner Stellungnahme, die geplante Testierpflicht durch externe Wirtschaftsprüfer könne die Prüfung durch die Aufsichtsbehörde nicht ersetzen. Der Einsatz externer Abschlussprüfer führe zu "hohem bürokratischen Aufwand ohne Mehrwert bei den Unternehmen". Professor Meinrad Dreher (Gutenberg-Universität Mainz) sah "nationales Draufsatteln" und kritisierte die Testierpflichten. Professor Wagner widersprach den Behauptungen von der Benachteiligung kleiner Versicherer. Er kenne keine Studie, die zeige, dass große Versicherer eine bessere Performance hätten als kleine.

Thema in der Anhörung waren auch die Kapitalanlagen der Versicherer. So warnte die Deutschen Bundesbank in ihrer schriftlichen Stellungnahme vor "Fehlanreizen durch die Privilegierung von Staatsanleihen" unter Solvency II. Eine Abschaffung dieser Privilegien würde die Risiken aus dem Risikoverbund zwischen Staaten und dem Finanzsystem mittelfristig verringern. Der Bund der Versicherten erklärte, man habe Bauchschmerzen angesichts der Einstufung von griechischen Staatsanleihen als "risikofrei".

Die Bundesbank hatte in ihrer Stellungnahme auch erklärt, die kürzlich von der europäischen Versicherungsaufsichtsbehörde EIOPA vorgeschlagenen Absenkungen der Anforderungen für Kapitalanlagen insbesondere für sogenannte Kreditverbriefungen (ABS) seien "kritisch zu sehen". Die BaFin bezeichnete den Kauf von ABS-Papieren durch Versicherungen als "bedenklich". Das Geld der Versicherten in Verbriefungen zu stecken, gleiche einem "Spiel mit dem Feuer". (Deutscher Bundestag: ra)


Kostenloser Compliance-Newsletter
Ihr Compliance-Magazin.de-Newsletter hier >>>>>>


Meldungen: Bundestag, Bundesregierung, Bundesrat

  • Lobbygesellschaft für Digitale Transformation

    Die Bundesregierung gestaltet nach eigener Darstellung die digitale Transformation im Sinne der Bürger durch digitalpolitische Initiativen aktiv mit. Dazu würden bestehende Verfahren kontinuierlich modernisiert und implementiert im Hinblick auf aktuelle technische Entwicklungen, heißt es in der Antwort (20/13814) der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage (20/13448) der AfD-Fraktion.

  • AfD fordert Stopp der Wärmewende

    Die AfD-Fraktion will durch einen Stopp der Wärmewende Wohnen wieder bezahlbar machen. In einem Antrag (20/13764) wird insbesondere eine Absenkung der Energiestandards bei Neubauten verlangt.

  • AfD-Fraktion hält EU-Richtlinie für "rechtswidrig"

    Für die AfD-Fraktion greift eine EU-Richtlinie "rechtswidrig in die Grundrechte der Bürger ein". Das schreibt sie in einem Antrag (20/13799), in dem sie darauf abzielt, dass das EU-Parlament und der Rat der EU am 24. April 2024 die Richtlinie über die Abschöpfung und Einziehung von Vermögenswerten beschlossen hätten.

  • Umsetzung der "eIDAS 2.0"-Verordnung

    Um die Umsetzung der "eIDAS 2.0"-Verordnung geht es in einem Antrag der CDU/CSU-Fraktion (20/13735). Wie die Fraktion darin ausführt, wird mit eIDAS 2.0 "eine persönliche europäische digitale Brieftasche, die EUDI-Wallet" geschaffen.

  • Neufassung der Energieauditpflicht

    Der Ausschuss für Klimaschutz und Energie im Rahmen einer Sachverständigen-Anhörung mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung "zur Änderung des Gesetzes über Energiedienstleistungen und andere Effizienzmaßnahmen, zur Änderung des Energieeffizienzgesetzes und zur Änderung des Energieverbrauchskennzeichnungsgesetzes (20/11852) befasst. Im Fokus stand dabei vor allem die Neufassung der Energieauditpflicht.

Wir verwenden Cookies um unsere Website zu optimieren und Ihnen das bestmögliche Online-Erlebnis zu bieten. Mit dem Klick auf "Alle akzeptieren" erklären Sie sich damit einverstanden. Erweiterte Einstellungen