Krisen des herkömmlichen Wachstumsmodells


Finanz- und Rezessionskrise: Stärkung des Haftungsprinzips an, um eine ausufernde Risikobereitschaft einzudämmen
Meinung eines Experten: Das Platzen der Immobilienblase in den USA ausgelöste Krise sei auf tieferliegende Ursachen wie das Ausblenden von Risiken zurückzuführen


(13.05.11) - Den Blick auf ökonomische, ökologische, soziale und demographische Krisen, die das bisherige Wachstumsmodell bedrohen, und auf die aus diesen Herausforderungen zu ziehenden Lehren richtete bei ihrer Sitzung die Enquete-Kommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität". Als Konsequenz aus der Finanz- und Rezessionskrise der vergangenen Jahre mahnte der Sachverständige Kai Carstensen eine Stärkung des Haftungsprinzips an, um eine ausufernde Risikobereitschaft einzudämmen.

Der Experte Norbert Reuter erklärte, bei der Überwindung der Krise hätten sich staatliche Konjunkturprogramme wie auch Arbeitszeitverkürzungen etwa in Form von Kurzarbeit bewährt. Der Abgeordnete Hermann Ott (Grüne) warnte eindringlich vor einem zu großen Ressourcenverbrauch, da andernfalls das ökologische Gleichgewicht der Erde gefährdet werde. Der Sachverständige Meinhard Miegel wies laut schriftlicher Stellungnahme darauf hin, dass sich mit Schrumpfung und Alterung der Bevölkerung auch das Wirtschaftsgefüge hin zu mehr medizinischen und pflegerischen Dienstleistungen verändere.

Aus Sicht von Carstensen ist die vom Platzen der Immobilienblase in den USA ausgelöste Krise auf tieferliegende Ursachen wie das Ausblenden von Risiken zurückzuführen. Eine Rolle habe auch gespielt, dass wegen der Haftungsbeschränkungen bei Banken wie Privatpersonen die Verschuldung als etwas Positives angesehen worden sei. Überdies sei Geld billig gewesen, zudem habe sich im Falle von Krisen das Finanzsystem als anfällig erwiesen. Carstensen plädierte dafür, die Haftungsrisiken zu erhöhen und auch die Eigenkapitalquote bei Banken heraufzusetzen. International müssten die Finanzinstitute einer besseren Aufsicht unterstellt werden. Der Sachverständige wandte sich indes gegen die These, die große Krise habe das Ende der Marktwirtschaft eingeläutet: Sowohl in den USA wie in Deutschland würden im historischen Kontext die Wachstumsraten weiterhin nach oben weisen.

Norbert Reuter mahnte, hausgemachte Ursachen krisenhafter Entwicklungen nicht zu übersehen. So sei die Binnennachfrage zu schwach, was in der ungleichen

Verteilung von Vermögen und Arbeitnehmereinkünften zu Lasten Letzterer eine wesentliche Ursache habe. Anders als in den meisten EU-Ländern sei die Lohnentwicklung in der Bundesrepublik zeitweise sogar rückläufig gewesen. Auch dieser Faktor habe die deutsche Exportfähigkeit verbessert und die Exportüberschüsse noch weiter wachsen lasse, was jedoch international die Ungleichgewichte verstärke. Reuter: "Das kann kein Modell für die Weltwirtschaft sein." Für den Sachverständigen ergeben sich aus der Krise Lehren wie die Stärkung der Binnennachfrage und wirtschaftliche Reformen wie eine Ausweitung öffentlicher Ausgaben, ein ökologischer Umbau oder eine Aufwertung der Dienstleistungen. Finanzieren könne man dies über höhere Steuern auf große Einkommen und Vermögen.

Drastische Konsequenzen aus einem zu hohen Ressourcenverbrauch und Schadstoffausstoß malte Hermann Ott vor dem Gremium aus. So würden weltweit täglich beispielsweise 75 Millionen Tonnen Kohlendioxid emittiert, 50.000 Hektar Wald zerstört oder 350.000 Tonnen Fisch gefangen. Auch schreite das Aussterben biologischer Arten unvermindert voran. Entsprechend dem Ressourcenverbrauch und der Schadstoffbelastung wurden nach den Ausführungen des Abgeordneten 2005 eigentlich bereits 1,3 Erden benötigt. Der Grünen-Politiker hob den engen Zusammenhang zwischen der Klimaerwärmung und dem Kohlendioxid-Ausstoß hervor. Setze sich diese Emittierung auf dem heutigen Niveau fort, sei das Ziel nicht zu erreichen, den Temperaturanstieg auf zwei Grad zu begrenzen.

Laut schriftlichem Referat ist es aus Sicht Miegels eine wesentliche Konsequenz der "unabänderlichen demographischen Verwerfungen", nach Wegen zu suchen, um die Belastungen der Steuer- und Beitragszahler tolerabel erscheinen zu lassen. Hintergrund ist die Entwicklung des zahlenmäßigen Verhältnisses zwischen den Finanziers und den Leistungsbeziehern der Sozialversicherung. Da der durch Schrumpfung und Alterung der Gesellschaft verursachte Rückgang der Erwerbsbevölkerung nicht allein durch Zuwanderung und eine größere Zahl berufstätiger Älterer ausgeglichen werden könne, würden "jüngere Frauen zur wichtigsten Arbeitskräftereserve der Zukunft", betonte Miegel. Grundsätzlich, so der Sachverständige, nehme in einer älter werdenden Gesellschaft der Leistungswille ab, eine solche Bevölkerung verhalte sich nicht "betont dynamisch-expansiv". (Deutscher Bundestag: ra)


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