Restriktiver Umgang mit Gesundheitsdaten


Experten fordern Bürokratieabbau bei Gesundheitsdaten
Wissenschaftlerin forderte eine zentrale Vertrauensstelle auf Bundesebene, die pseudonymisierte Daten zusammenführt



Der restriktive Umgang mit Gesundheitsdaten in Deutschland ist nach Ansicht von Fachleuten ein Nachteil für den hiesigen Forschungsstandort. So lautete am Mittwoch der Tenor eines Expertengesprächs im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technologiefolgenabschätzung. Die Expertinnen und Experten sprachen sich für den Abbau bürokratischer Hemmnisse vor allem beim Datenschutz aus. Anders sei der Rückstand der Gesundheitsforschung etwa gegenüber den skandinavischen Ländern nicht aufzuholen. Der Anhörung voraus ging ein Antrag der CDU/CSU-Fraktion (20/5805), in dem die Union dafür plädiert, "bessere Rahmenbedingung für Datennutzung und Künstliche Intelligenz zu schaffen". Die Universitätsmedizin bleibe in Deutschland aufgrund "einer tiefgreifenden Überbürokratisierung weit hinter ihren Möglichkeiten zurück".

Dieter Fellner vom Fraunhofer-Institut der IGD-Darmstadt nahm den Antrag zum Anlass und fragte in die Runde: "Wie lange wollen wir noch zuschauen, dass wir in Deutschland gesundheitsrelevante Daten nicht nutzen können?" Der Professor für Graphische Datenverarbeitung wies auf Finnland hin, wo etwa für chronisch-entzündliche Magen-Darmerkrankungen 150.000 Datensätze für die Forschung verfügbar seien, hierzulande jedoch nur 600 genutzt werden konnten.

Die Diskrepanz erklärte der Wissenschaftler damit, dass die Deutschen ein anderes Verhältnis zum Umgang mit Daten pflegten. Hier herrsche das "dumpfe Gefühl" vor, es passiere etwas Schlimmes, Undurchschaubares mit individuellen Daten. Doch der so genannte Data-Lake, ein Sammelbecken für extrem große Datenmengen, der entstehe, sei verschlüsselt. Und den einzigen Schlüssel dazu habe die betroffene Person selbst in der Hand. Gleichzeitig würden in Deutschland so viele Daten gesammelt, dass einzelne Mediziner diese Informationsflut kaum lesen und bewältigen könnten. Deutschland müsse deshalb einen "großen Sprung machen", so Fellner. "Mit einer elektronischen Patientenakte hätten wir schon vor etlichen Jahren in diesem Gebiet eine größeren Fortschritt erzielen können."

Juliane Fluck, Leiterin des Informationszentrums Lebenswissenschaften (NFDI) in Bonn, wies auf die Nationale Forschungsdateninfrastruktur (NFDI) für personenbezogene Gesundheitsdaten hin, deren Kernauftrag es sei, den kulturellen Wandel in der medizinischen Forschung wissenschaftlich zu begleiten. Aufgabe des NFDI sei es, die Nutzungsmöglichkeiten von Daten zu verbessern und dabei rechtskonforme und nachhaltige Dateninfrastrukturen zur schaffen, die auch eine bessere Verknüpfung ermöglichten. Die Kompetenz der Forschenden im Umgang mit Daten zu stärken, gehöre ebenso zu den Aufgaben des NFDI.

Die Wissenschaftlerin forderte eine zentrale Vertrauensstelle auf Bundesebene, die pseudonymisierte Daten zusammenführt. Des Weiteren, so die Professorin, brauche es rechtliche und organisatorische Grundlagen, die einen einfachen Zugang zu dezentral vorliegenden Forschungsdaten ermöglichten. Dazu sollten rechtliche Grundlagen auf Bundesebene angeglichen werden, um so von landesspezifischer Gesetzgebung unabhängig zu sein.

Je komplexer eine Studie oder eine Fragestellung sei, umso mehr Gesundheitsdaten würden benötigt, unterstrich Dagmar Krefting vom Institut für Medizinische Informatik der Universität Göttingen. Deutschland verfüge über ein riesiges Potenzial von 80 Millionen Menschen, über diese benötige man für die medizinische Forschung vor allem repräsentative, evidenzbasierten Daten, betonte die Professorin. Die Hebung dieses großen Potenzials gestalte sich allerdings sehr schwierig. Die Gründe dafür seien bekannt: uneinheitliche Regulation, mangelnde Digitalisierung, aber auch kaum Möglichkeiten für die Patienten, die Gesundheitsforschung in ihrem Interesse aktiv mitzugestalten. Natürlich, räumte Krefting ein, müssten die Forscher abwägen zwischen dem Nutzen fürs Gemeinwohl und dem individuellen Recht der Menschen auf ihre persönlichen Daten. Diese Daten müssten auf jeden Fall rechtssicher genutzt werden, damit in der Gesellschaft Vertrauen entstehen könne. Aus Bürgersicht sei Partizipation und Transparenz daher sehr wichtig, die Menschen müssten das Gefühl haben, dass mit ihren Daten verantwortlich umgegangen werde und deren Verwendung zu sinnvoller Forschung beitrügen.

Hans-Joachim Kremer vom Medical Writing Service Freiburg fand es erschütternd, dass Deutschland während der Corona-Krise Forschungsdaten aus den USA, Schweden und Dänemark "abgesaugt" habe, weil es diese hier so nicht gegeben habe.

Es existierten zwar hierzulande 250 Datenbanken mit Gesundheitsdaten, die aber in Deutschland für die Forschung nicht hinreichend genutzt werden könnten. Ein Grund dafür könnte sein, dass es problematisch sei, zwei oder mehrere Datenbanken miteinander zu verknüpfen. Das entscheidende Hindernis dabei sei der Datenschutz.

Kremer forderte deshalb eine Entbürokratisierung und plädierte für eine völlig freie und kostenlose Verfügbarkeit nicht individualisierter Rohdaten, also bearbeiteter und anonymisierter Informationen.

Hans-Ulrich Prokosch, Institut für Medizininformatik, Universität Erlangen, stellte die Medizininformatikinitiative vor, einen Verbund von mehr als 30 Universitätskliniken mit dem Ziel, klinische Patientendaten für die medizinische Forschung zugänglich zu machen.

Im Oktober 2022 habe die Initiative das Forschungsdatenportal für Gesundheit freigeschaltet. Damit seien diese Datenbestände auffindbar gemacht worden, sodass Forscher Projekte über einen zentralen Zugang beantragen könnten. Dieser zentrale Zugang sei das deutsche Forschungsdatenportal für Gesundheit. Das Portal habe viele Funktionen, so könnten Wissenschaftler über ein so genanntes Antragsverwaltungsmanagement beispielsweise einen Datennutzungsantrag formulieren und mit beigefügtem Ethikvotum ihren Antrag an alle Universitätskliniken verteilen.

Sebastian Semler von der Koordinationsstelle Medizininformatik-Initiative, plädierte für eine dezentrale und standortnahe Infrastruktur der Datennutzung. Semler verspricht sich davon mehr Akzeptanz bei Ärzten, Forschern und Patienten sowie ein verringertes Risiko beim Datenschutz. Eine Neuregelung der Datennutzung dürfe allerdings nicht zu mehr Datenbürokratie führen.

Hendrik Streeck vom Universitätsklinikum Bonn kritisierte, dass von 3.000 internationalen klinischen Studien zur Corona-Pandemie nur 65 in Deutschland angemeldet - und davon nur 15 realisiert worden seien. Seit 2015 sei Deutschland als Standort für klinische Studien immer uninteressanter geworden. Die Ursachen dafür seien "hausgemacht", nämlich eine überbordende Bürokratie und ein Datenschutz, der nicht mehr Patientinnen und Probanden zugute komme, sondern nur noch Selbstzweck sei. "Während Deutschland noch prüft, haben andere Länder schon Ergebnisse", sagte der Wissenschaftler.

Zudem beklagte Streeck das Fehlen einer elektronischen Patientenakte. Dass dieses "dringend notwendige" Projekt noch immer nicht realisiert worden sei, sei inzwischen ein "Standortnachteil" im wissenschaftlichen Wettbewerb. Streeck erwähnte in diesem Zusammenhang auch eine gescheiterte Forschungskooperation mit den USA, die am sehr komplexen bürokratischen deutschen Antragssystem gescheitert sei. Am Ende hätten sich die US-Forscher entnervt zurückgezogen.

Andere Ländern machten es besser, so Streeck, wie der Blick auf Spanien zeige. Dort gebe es für die Antragstellung einer Studie einheitliche Datenschutzauflagen, das vermindere bürokratische Abläufe. (Deutscher Bundestag: ra)

eingetragen: 01.08.23
Newsletterlauf: 19.09.23


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