Vergabe von Antibiotika in der Tierhaltung


Weniger Bürokratie für Tierarzneimittelgesetz gewünscht
Vorgesehene Erweiterung des nationalen Antibiotikaminimierungskonzeptes und die Aufnahme neuer Nutzungsarten würden vor allem Milchviehbetriebe betreffen




Die von der Bundesregierung geplanten Änderungen des Tierarzneimittelgesetzes zur Erhebung von Daten über antibiotisch wirksame Arzneimittel und zur Änderung weiterer Vorschriften (20/3712) werden von Sachverständigen unterschiedlich beurteilt. Bei einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft wurde das Vorhaben zwar mehrheitlich als richtiger Schritt bezeichnet, jedoch die geplante Übertragung der Meldeverantwortung vom Tierhalter auf den Tierarzt scharf kritisiert. Der Verwaltungsaufwand sei zu hoch und die Besitzverhältnisse bezüglich der Tiere würden unklar. Die Kritik anderer Sachverständiger an dem Entwurf zielte darauf ab, dass die Vergabe von Antibiotika in der Tierhaltung zwar seit 2011 rückläufig sei, der Gesetzentwurf jedoch zu wenig importierte Tiere und pflanzliche Lebensmittel berücksichtige.

Professor Mathias Pletz, Direktor des Instituts für Infektionsmedizin und Krankenhaushygiene des Universitätsklinikums Jena, begrüßte den vorliegende Gesetzesentwurf, weil er darauf abziele, den massenweisen Einsatz von Fluorochinolonen, Cephalosporinen der dritten und vierten Generation und Colistin im Rahmen eine Metaphylaxe weiter zu reduzieren. Insbesondere Fluorochinolone und Cephalosporine der genannten Generation seien Medikamente, die in der Humanmedizin häufig bei schweren Infektionen eingesetzt würden, aber deren Wirksamkeit in den letzten 20 Jahren aufgrund von Resistenzen deutlich abgenommen habe.

Neben der Überwachung der heimischen Nutztierproduktion sei außerdem eine Kontrolle vor allem importierter Lebensmittel-Bakterien - insbesondere bei Geflügel, Meeresfrüchten und Rohkost - auf eine Kontamination erforderlich. Das solle "zumindest temporär im Rahmen von Forschungsprojekten passieren", bis eine ausreichende Datengrundlage existiere, die eine Verordnung rechtfertige.

Laut einer aktuellen Studie seien im Jahr 2019 weltweit mehr als 4,95 Millionen Menschen mit und 1,27 Millionen Menschen an Infektionen mit multi-resistenten Erregern (MRE) verstorben, mehr als im Jahr 2020 durch SARS-CoV2. Davon starben rund 800.000 Menschen an Atemwegs-, Bauchraum- und Blutstrominfektionen durch resistente Escherichia coli. Diese auch "Stille Pandemie" genannte Ausbreitung von MRE verlaufe langsamer und unbemerkter als die engmaschig überwachte COVID-19-Pandemie, so Pletz.

Es sei unbestritten, dass neben der Übertragung von MRE im Krankenhaus und der Selektion von MRE durch unsachgemäßen Einsatz in der Humanmedizin auch der Einsatz in der Tiermedizin und die daraus folgende Übertragung resistenter Stämme oder mobiler Resistenzgene durch Lebensmittel die Zunahme von MRE-Infektionen fördere. Allerdings lasse sich der Anteil dieses Eintrages nicht genau beziffern und unterscheide sich je nach Antibiotikaklasse deutlich, führte Pletz aus.

Der Tierarzt und Agraringenieur Andreas Wilms-Schulze Kump, Experte für industrielle Massentierhaltung, gab zu bedenken, dass nicht alle Verantwortung auf die Tierärzte abgeladen werden könne. "Beim Tierschutz und beim Tierwohl tragen auch die Landwirte Verantwortung", sagte der Sachverständige. Der bürokratische Aufwand für Tierärzte steige seit Jahren. Junge Ärzte seien "genervt" von den zahlreichen Verwaltungsaufgaben, "kleinste Fehler können schwere Folgen haben, bis zu Polizeieinsätzen", so Wilms-Schulze Kump.

In Anbetracht der in den letzten Jahren bereits erreichten Reduktion des Antibiotikaeinsatzes stelle sich die Frage nach der zukünftigen Sinnhaftigkeit des vorgesehenen Antibiotikaminimierungssystems. Eine Evaluierung der Kosten-Nutzen-Effekte scheine "sinnvoll". Allerdings sollten laut Gesetz 25 Prozent der Betriebe statistisch ausgewertet werden. Damit würden "viel zu viele Betriebe erfasst, die fachlich nur wenig Sinn machen", sagte Wilms-Schulze.

Die im Gesetzentwurf vorgesehenen Korrekturfaktoren für One-Shot-Präparate und für Fluorochinolone, Cephalosporine der dritten und vierten Generation und Colistin würden in einigen Fällen zu sehr hohen Therapiehäufigkeiten führen. Auch würden dort Fälle auftreten, in denen keine sinnvollen Maßnahmenpläne erstellt werden könnten. Deshalb sei es für diese Fälle sinnvoller, Resistenzteste durchzuführen und damit sicherzustellen, dass diese Wirkstoffe nur zur Anwendung kämen, wenn sie notwendig seien, betonte Wilms-Schulze.

Zudem hält Andreas Wilms-Schulze Kump eine Änderung der Tierhaltung "in einigen Fällen für durchaus sinnvoll, um eine Verbesserung der Tiergesundheit zu erreichen". So könne durch Änderungen in der Haltung von Masthähnchen ein positiver Effekt nachgewiesen werden. Allerdings gebe es auch Fälle, bei denen eine Änderung der Tierhaltung hin zu Haltungsformen mit einer vermeintlichen Verbesserung des Tierwohls ein genau gegenteiliger Effekt bei der Tiergesundheit erreicht werde. Das sei seiner Meinung nach bei der Freilandhaltung von Legehennen der Fall. Dort sei ein vermehrtes Auftreten von E.coli-Infektionen zu beobachten.

Iris Fuchs, erste Vizepräsidentin der Bundestierärztekammer (BTK), warnte vor zu viel Bürokratie und appellierte für mehr Pragmatismus. "Wir lehnen die Übertragung der Meldeverantwortung, nicht zuletzt aufgrund der eindeutigen Besitzverhältnisse bezüglich der Tiere, ab", sagte Fuchs. Insbesondere sei zu bedenken, dass aufgrund des Wegfalls der jetzigen Tierhalterbestätigung gemäß Artikel 55 Absatz II des Tiermittelarzneigesetzes (TAMG) die gemeldeten Mengen nicht in jedem Fall den durch die Tierhalter angegebenen Mengen entsprächen.

Grund dafür sei zum einen, dass, wenn Tiere während der Behandlung versterben, im angedachten Konzept mehr Behandlungen gemeldet werden, als tatsächlich stattgefunden haben. Zum anderen sollten nach Artikel 56 Tierärzte "die insgesamt verschriebene, angewendete oder abgegebene Menge dieser Arzneimittel" melden. Während die angewendete Menge genau der verabreichten Menge entspreche, würde die abgegebene Menge nur dann der durch die Tierhalterin oder den Tierhalter angewendeten Menge entsprechen, wenn die im Handel verfügbare Packungsgröße der benötigten Menge entspreche. Sollte es dort zu Fehlern kommen, müsse der Tierarzt entweder mehr abgeben oder durch Umfüllen und Abpacken die passende Menge auseinzeln.

Dies sei gerade bei sterilen Injektionslösungen aufgrund der Anbruchstabilität praktisch nicht möglich, so dass bei der Abgabe hier in aller Regel nach dem Ende der Behandlung eine Restmenge bei den Tierhaltern verbleibe. Werde diese Restmenge nicht erneut mit dem sogenannten Nullbeleg, der nach wie vor rechtlich nicht verankert sei, verordnet, würden auch diese abgegebenen, aber nicht angewendeten und damit zu entsorgenden Restmengen in die Erfassung der Daten zur Anwendung von antimikrobiellen Arzneimitteln bei Tieren an die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) einfließen. Beide Szenarien hätten zur Folge, dass Deutschland effektiv mit einer höheren als der tatsächlichen Anwendungsmenge an antibiotischen Substanzen im europäischen Vergleich dargestellt werde. Deshalb brauche es im Gesetz noch Änderungen. Nur so werde sichergestellt, dass auch die tatsächlich durch Tierhaltende angewendete Menge an antibiotischen Arzneimitteln an die EMA gemeldet werde und Deutschland im europäischen Vergleich nicht schlechter als korrekt erfassende Mitgliedsstaaten dastehe, führte Fuchs aus.

Dafür bekam Iris Fuchs Zustimmung von Michael Schmaußer vom Bundesverband Praktizierender Tierärzte. Auch er fordert die Nachbesserung des Gesetzentwurfes. Die Übertragung der Meldeverantwortung auf den Tierarzt lehne sein Berufsverband ab, "denn viele der für eine korrekte Ermittlung der Therapiehäufigkeit notwendigen Daten liegen dem Tierarzt zum Zeitpunkt der Meldungserstellung nicht vor". Das führe zu erheblicher Rechtsunsicherheit bei den praktizierenden Tierärzten. "Die knappe Ressource Tierarzt sollte besser genutzt werden als zum Abarbeiten von Bürokratie", sagte Schmaußer. Zudem sei der Start zum 1. Januar 2023 zu früh, vor allem weil neben Milchvieh auch andere Nutzungsgruppen aus dem Rinderbereich in das Monitoringsystem hinzukämen. Darauf seien seine Kollegen bislang in keiner Weise vorbereitet worden. Vor Einführung des Monitoringsystems im Mastbereich habe bereits eine funktionierende Meldestruktur über das private Qualitätssicherungssystem QS bestanden. Nur deshalb sei es seinerzeit möglich gewesen, dass die benötigten Daten innerhalb kürzester Zeit in die staatliche Datenbank geliefert werden konnten. Doch die Situation im Rinderbereich sehe "ganz anders aus". Deshalb sollte das Jahr 2023 als "Probelauf" gelten.

Auch Roger Fechner, Deutscher Bauernverband, hält die Einführung der Dokumentation für zu früh und plädierte für einen Übergang. Die vorgesehene Erweiterung des nationalen Antibiotikaminimierungskonzeptes und die Aufnahme neuer Nutzungsarten würden vor allem Milchviehbetriebe betreffen. Allein bei dieser Tierart seien fast 40.000 Betriebe mit ihren Tierärzten betroffen. Entsprechende Strukturen, Datenbankabläufe sowie deren Umsetzung durch Tierärzte und Landwirte seien derzeit aber noch unklar. Eine reibungslose Umsetzung der Meldevorschriften unmittelbar zum 1. Januar 2023 sei somit praktisch nicht möglich. "Es bedarf der Einrichtung von zeitlichen Übergangsregelungen bis zur Festlegung einer verbindlichen Meldepflicht", so Fechner.

Sabine Schüller vom Bundesverband für Tiergesundheit unterstützt zwar weitere Bestrebungen zur Kontrolle der Entwicklung antimikrobieller Resistenzen, mit dem Ziel, die Wirksamkeit von Antibiotika für Mensch und Tier zu erhalten. Sie verwies jedoch darauf, dass in der Tiermedizin aktuell bereits ein "ganzes Paket von Kontrollmaßnahmen angewendet wird". Dadurch habe die Menge an Antibiotika seit 2011 in Deutschland "signifikant reduziert" werden können.

Zudem halte sie es für erforderlich, dass die kombinierte Anwendung der Wichtungsfaktoren von drei und fünf bei den ausgewählten antibiotisch wirksamen Stoffen, wenn diese Wirkstoffspiegel von mehr als 24 Stunden aufwiesen, aufgehoben werde. Eine einmalige Behandlung würde sonst beispielsweise mit dem 15-Fachen zu Buche schlagen. Dies könne der Entscheidung für eine veterinärmedizinisch angemessene Therapie eindeutig entgegenstehen und unerwünschte Ausweichbewegungen nach sich ziehen.

Heidi Kuiper, Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Niedersachsen, hingegen begrüßt das Gesetz. Vor allem der Wechsel der Pflicht zur Meldung der Antibiotikaanwendung weg von Haltern hin zu Tierärzten gemäß des aktuellen Tierarzneimittelgesetzes sei sinnvoll. Vor allem im Hinblick darauf, dass langfristig die Anwendung von Antibiotika nicht nur bei Lebensmittel liefernden Tieren, sondern auch beispielsweise bei Pferd, Hund und Katze zu erfassen sei. Für Tierhalter dieser Tierarten gebe es kein bestehendes System zur Erfassung des Antibiotikaeinsatzes. Tierärzte würden Antibiotika im Rahmen der Verschreibung zur Behandlung von Lebensmittel liefernden Tieren aber auch zur Behandlung von Haustieren wie Hund und Katze abgeben. (Deutscher Bundestag: ra)

eingetragen: 13.11.22
Newsletterlauf: 24.01.23


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