Sie sind hier: Home » Markt » Hintergrund

Dokumentationspflicht bei Kapitalberatung


Banken und Compliance: Seit dem 01.01.2010 ist das Beratungsprotokoll für Kapitalanlageberatungen Pflicht, doch darauf sollten sich Anleger nicht verlassen
Rechtsanwalt Julius Reiter "Die meisten Geldinstitute haben aus der Krise offensichtlich nichts gelernt"


(18.01.10) - Millionen von Bankkunden in Deutschland haben in der Finanzkrise Geld verloren. Viele fühlen sich dabei von ihrer Bank hereingelegt: Die einen ärgern sich über ihre wertlosen Zertifikate der amerikanischen Bank Lehman Brothers, die ihnen der Anlageberater ihrer Hausbank aufgeschwatzt hat. Die anderen sitzen auf Investment- oder Immobilienfonds und Wertpapierdepots, die längst nicht mehr so viel wert sind wie zum Kaufzeitpunkt. Zahlreiche Menschen haben deshalb das Vertrauen zu ihrer Bank verloren.

Und der Gesetzgeber hat Konsequenzen gezogen: Vom 01. Januar 2010 an müssen Anleger nach jeder Wertpapierberatung ein Protokoll ausgehändigt bekommen. Doch Vorsicht: "Das neue Protokoll ist keine Garantie für eine gute und unabhängige Beratung", sagt der auf Bank- und Kapitalanlagerecht spezialisierte Düsseldorfer Rechtsanwalt Julius Reiter.

Die neue Vorschrift sieht auf den ersten Blick wie eine gute Sache aus: Mit dem Protokoll sollen Wertpapier-Käufer im Zweifel später vor Gericht den Ablauf des Beratungsgespräches beweisen können. Das könnte im Falle eines Verlusts die Haftungsansprüche von Kunden bei einer Falschberatung verbessern, so das Kalkül der Regierung. Die Bundesministerin für Verbraucherschutz hofft jedenfalls, dass mit der Dokumentationspflicht auch die Qualität der Beratung erhöht wird. Dagegen sprechen allerdings mehrere Gründe:

Bislang gibt es keinen einheitlichen, verbindlichen Standard für die Protokolle. Verbraucherschützer fürchten nicht nur einen Wildwuchs bei den Abfragen in den Papieren. Es besteht auch die Gefahr, dass Banken die Protokolle so unverbindlich wie möglich erstellen, um in Streitfällen juristisch gut abgesichert zu sein. Besonders tückisch ist es, wenn Banken in die Beratungsprotokolle Zusatzklauseln einbauen, die eher der Haftungsfreizeichnung der Bank dienen sollen als einer Dokumentation des Beratungsgesprächs. Bankkunden sollten deshalb auf jeden Fall darauf pochen, dass der Berater ihre Wünsche und Anmerkungen in dem Protokoll festhält.

Die Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner hatte bereits im Sommer zusammen mit Experten standardisierte Produktinformationsblätter entwickelt. Diese sollen Anleger in knapper Form und auf verständliche Weise helfen, die Vor- und Nachteile eines Finanzprodukts inklusive der Kosten zu erfassen und so verschiedene Angebote leichter miteinander vergleichen zu können. Eine Pflicht, die Infoblätter einzusetzen, gibt es bislang aber nicht. Und so macht auch kaum eine Bank davon Gebrauch.

Die meisten Geldinstitute haben aus der Krise offensichtlich nichts gelernt. Der Verkaufsdruck in den Bankfilialen ist geblieben, weil sich am System nichts geändert hat: "Die so genannte Beratung orientiert sich leider häufig nicht daran, was der Kunde braucht und welches Risiko er eingehen will, sondern was die Bank gerade loswerden will und für das Geldhaus die höchsten Provisionen abwirft", sagt Rechtsanwalt Reiter. Das hätten gerade erst veröffentliche, für die Banken niederschmetternde Untersuchungen der Universität Bamberg und der Stiftung Warentest wieder einmal eindrucksvoll bewiesen. Anwalt Reiter rät Bankkunden deshalb, sich auf das Gespräch gut vorzubereiten, eigene kritische Fragen zu stellen und immer ein gesundes Misstrauen mitzubringen. Außerdem sollte der Kunde eine Vertrauensperson als Zeugen dabei haben.

Fazit: Für Reiter ist das Protokoll nur "ein kleiner Schritt in die richtige Richtung". Er fordert weiter eine Umkehr der Beweislast. Das heißt: Wenn sich ein Fonds oder ein Zertifikat als Verlustbringer erweist, sollte die Bank beweisen müssen, dass sie korrekt beraten hat. "Falschberatung muss für Banken richtig teuer werden", sagt er, "sonst sind die nächsten Skandale à la Lehman nur eine Frage der Zeit." (Rechtsanwälte Baum, Reiter & Collegen: ra)

Rechtsanwälte Baum, Reiter & Collegen: Steckbrief

Der Informationsanbieter hat seinen Kontakt leider noch nicht freigeschaltet.


Kostenloser Compliance-Newsletter
Ihr Compliance-Magazin.de-Newsletter hier >>>>>>


Meldungen: Markt / Hintergrund

  • Was ist das EU-KI-Gesetz?

    Das EU-KI-Gesetz ist da und es hat Auswirkungen auf die Welt des Datenschutzes, Sicherheit, Risiko und Rechnungsprüfung. Das bedeutet, es beeinflusst die Art und Weise, wie diese Funktionen organisiert sind, wie die Fachleute ihre Arbeit verrichten und was sie in ihrer Position zu tun haben.

  • Politikgetriebener Moralisierung

    Am 1. August 2024 tritt der AI Act der Europäischen Union in Kraft getreten. Bitkom-Präsident Dr. Ralf Wintergerst hatte kommentiert: "Ob Deutschland und Europa zu Innovationsstandorten für Künstliche Intelligenz oder zu Nachzüglern werden, hängt entscheidend von der weiteren Ausgestaltung und Umsetzung des AI Acts ab."

  • Entwicklung der HR-Softwareindustrie

    Human Resources gilt heutzutage als Rückgrat eines jeden Unternehmens. Die Verwaltung von Mitarbeiterdaten, die Durchführung von Rekrutierungsprozessen und die Entwicklung von Talenten sind nur einige der vielfältigen Aufgaben, die die Personalabteilung täglich bewältigen.

  • Mittelstand im Regulierungskorsett

    Ziel des Data Acts ist es, einen Wettbewerbsmarkt für Daten zu schaffen und die Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit der EU zu stärken. Durch die Förderung eines fairen, transparenten und wettbewerbsfähigen digitalen Marktes adressiert er die Notwendigkeit einer verstärkten Datenmobilität und -nutzung.

  • Paragrafen 201b Strafgesetzbuch vorgeschlagen

    Das Bundeskabinett hat am 21. August 2024 zu einer bayerischen Initiative zum strafrechtlichen Schutz von Persönlichkeitsrechten vor Deepfakes Stellung genommen. Im Juli dieses Jahres hatte der Bundesrat den bayerischen Gesetzentwurf verabschiedet.

Wir verwenden Cookies um unsere Website zu optimieren und Ihnen das bestmögliche Online-Erlebnis zu bieten. Mit dem Klick auf "Alle akzeptieren" erklären Sie sich damit einverstanden. Erweiterte Einstellungen