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Die fünf Aufgaben des Peter Löscher


Die Siemens-Familie ist tot: Es lebe die Holding? - Auf den neuen Siemens-Chef Peter Löscher warten Aufgaben von ungeahnter Größenordnung
Wird Peter Löscher die menschliche Ausgabe eines Jack Welch? – Der Korruptionsskandal spielt Siemens in die Karten


Peter Löscher,
Peter Löscher, ein humaner Jack Welch? Bild: Siemens

Von Rainer Annuscheit

(23.05.07) – Dem neuen Vorstandschef der Siemens AG steht ein hartes erstes Jahr bevor: Der Siemens-Korruptionsskandal kann durch den Einstieg der US-Börsenaufsicht SEC weiterhin an ungewollter Dynamik gewinnen, das Problem Siemens VDO muss endlich vom Tisch, auf die sowohl auf dem Parkett als auch in den Medien zirkulierenden Siemens Holding-Phantasien muss reagiert werden, die Compliance muss bei Siemens wieder mit Leben gefüllt werden und nicht zuletzt muss auch noch der Umsatz (und der Ertrag) stimmen.

Welche Aufgaben warten denn nun auf Peter Löscher im Detail?

1. Aufgabe
Organisatorische und strukturelle Umgestaltung des Unternehmens: Siemens muss wieder ein kontrollierbares und somit lenkbares Unternehmen werden, das haben nicht nur die Korruptions- und Kartellaffären deutlich gezeigt.

Was bedeutet das konkret? Korruptions- und Kartellskandale haben deutlich werden lassen: Siemens ist in dieser Struktur nicht mehr zu kontrollieren. Obwohl von Siemens immer wieder bestritten, wird es wohl bald zur großen Reorganisation des Konzerns kommen. Dazu könnte auch der Skandal um Schmiergeld und schwarze Kassen den Vorwand liefern.

Permanent im Gespräch ist die Umwandlung der Siemens AG in eine Holding-Struktur, in der die einzelnen Geschäftsbereiche als selbständige Töchterunternehmen agieren. Damit verbunden ist eine größere Handlungsfähigkeit des Konzerns.
Divide et impera.
Unternehmensteile, die nicht die nötigen Zahlen aufweisen, könnten leichter abgestoßen werden, schon mittelfristig kann sich Siemens von einem Technologie- zu einem Mischkonzern wandeln - Vorbild: General Electric (GE), die sogar im Unterhaltungs- und Medienbereich tätig ist.

Gegenüber GE (2005: 149,7 Milliarden US-Dollar Umsatz, Gewinn: 18,3 Milliarden US-Dollar) nimmt sich die Siemens-Rendite sehr bescheiden aus (2006: 87,325 Mrd. Euro Umsatz, Gewinn: 3,033 Mrd. Euro). Steigerungen erscheinen vor allem dann möglich, wenn man Siemens geschickt filetiert und konsequent Wachstumsfelder besetzt.

Sollte sich Siemens eine GE als Vorbild nehmen, dann sollte jeder bei Siemens wissen, wie eine GE unter einem Jack Welch zu dem geworden ist, was sie heute ist:
Zuerst kommt der Aktionär, dann kommen die Aktionäre, und die Arbeitnehmer schmeißen wir raus, weil dann schon wieder der Aktionär kommt.

Unter Heinrich von Pierer, der noch der "großen Siemens-Familie" entstammte und im Geiste einer solche handelte, war eine derartige Denke dem Siemens-Konzern komplett fremd.
Seinem Zieh-Sohn und Siemensianer Klaus Kleinfeld, der lange Jahre in den USA verbrachte, ging der Frühkapitalismus schon etwas leichter von der Hand wie das Beispiel "Siemens Mobiltelefon-Sparte" und BenQ zeigte.

Und was wird unter Peter Löscher passieren?
Pikanterweise weiß die Medienöffentlichkeit von Peter Löscher nicht viel. Nur an das eine kann sie sich erinnern. Löscher war Ende der 90iger Jahre als Stratege und Planer maßgeblich daran beteiligt, das Chemie- und Pharma Unternehmen Höchst in seine Bestandteile zu zerlegen. Daran muss sich wohl auch die IG Metall erinnert haben, wenn sie in ihrer Presseerklärung zum Thema Peter Löscher verlauten lässt:

"Herr Löscher hat den Arbeitnehmervertretern zugesagt, dass es unter seiner Führung keine Kahlschlagpolitik in Deutschland und anderswo geben wird und er alles tun wird, die Arbeitsplätze bei Siemens zu sichern."

Allerdings klinkt das eher wie ein Lippenbekenntnis, was die IG Metall da dem Herrn Löscher abgerungen hat, und nicht wie ein Programm.

Fazit:
>> Löscher wird als Erfüllungsgehilfe der Nicht-Arbeitnehmervertreter auftreten müssen.
>> Ob es dabei hilfreich ist,
a) keine Seilschaften zu besitzen (hier tat sich Kleinfeld deutlich leichter),
b) die Organisation nicht zu kennen und
c) von Siemens nur zu wissen, es sei ein Unternehmen mit großer Geschichte und starken Fundamenten, ist natürlich die Frage – besonders wenn man gerade diese Fundamente einreißen und obendrein die Geschichte "von einer Siemens als die große Familie" eliminieren soll.
>> Das positive Echo der Börse auf Löschers Ernennung deutet darauf hin, dass man nicht nur froh ist, die Hängepartie überstanden zu haben. Die Siemens-Kaufempfehlungen, die allseits herumgeistern, lassen erahnen, dass auch die Aktionäre von einer baldigen Umstrukturierung ausgehen.

2. Aufgabe
Lösung des VDO-Problems.
Diese Aufgabe hängt eng mit der ersten Aufgabe zusammen und könnte schon den ersten Schritt darstellen: Was wird mit dem Autozulieferer Siemens VDO passieren?
Bei Siemens gibt es intern viele Befürworter eines Börsengangs der VDO. Entsprechende Erfahrungen hat man beispielsweise mit einer Infineon und einer Epcos gesammelt.
Es mehren sich aber auch Stimmen, die einen Verkauf der VDO (zum Beispiel an eine Continental oder einen Investor) favorisieren.

Wichtig ist: Die VDO soll Geld in die Siemens-Kassen spülen.
Allerdings: Wegen des geplanten Börsengangs erwartet die IG Metall die Schließung von Produktionsstandorten des Autozulieferers in Hessen. Der Standort Karben soll angeblich geschlossen werden, und die Produktion in Wetzlar ist von Einstellung bedroht.

Die IG Metall wird schon bald testen können, wie ernst es einem Peter Löscher ist, es nicht zum "Kahlschlag" kommen zu lassen. Und Peter Löscher wird zeigen müssen, wie geschickt er im Umgang mit den Gewerkschaften die Ziele des Unternehmens verfolgt.

3. Aufgabe
Den Korruptions- und Kartellsumpf der Siemens AG trockenlegen
Eigentlich Löschers Hauptaufgabe: Mit dem Amtsantritt von Peter Löscher am 1. Juli 2007 darf sich Siemens keine Neueinträge ins Korruptions- und Kartellregister mehr leisten.
Löscher sollte ferner durch seine Erfahrung bei Aventis, GE und Merck auch in Kontakt mit gut funktionierenden Compliance-Abteilungen gekommen sein, um beurteilen zu können, ob der seit Jahresbeginn neu agierende Siemens-Compliance-Chef, Daniel Noa, die Dinge bei Siemens richtig angeht.

Wichtig ist, dass Peter Löscher das Thema "Compliance" zur Chefsache macht. An den bisher abgelaufenen Korruptions- und Kartellaffären kann er ohnehin nichts mehr ändern. Er wird beträchtliche Summen für eventuelle Strafzahlungen zurückstellen müssen (man spricht von bis zu 5 Milliarden Euro).
Darüber hinaus sollte Löscher alle Siemens-Sparten auf eventuelle Kartellvergehen durchforsten lassen, um bei entsprechendem Anlass mit einer Selbstanzeige den Schaden zu minimieren. Tut er dies nicht, wird man ihm später mangelnde Sorgfaltspflicht vorwerfen können.

Mit dem promovierten Juristen Gerhard Cromme hat Löscher zudem einen wichtigen "Zuarbeiter" im Bereich "Korruption & Schwarzgeld": Cromme leitet den Prüfungsausschuss im Siemens-Aufsichtsrat, der die Schmiergeld- und Korruptions-Affären aufklären soll. So leicht wie bereits geschehen, wird man einen Cromme nicht mehr hinters Licht führen können.
Lesen Sie auch: Cover-Interview: Siemens und die organisierte Kriminalität

4. Aufgabe
Beseitigung der unheiligen Allianz zwischen Politik und Konzern
Ob bei Siemens in dieser Hinsicht wirklich schon der Groschen gefallen ist, mag bezweifelt werden.
Siemens klebt an der Politik wie ein warmes Kaugummi an der Schuhsohle. Der "Ober-Schmuser" Heinrich von Pierer kann es als Berater der Bundesregierung mit Links ebenso gut wie mit Rechts. Hauptsache der Einfluss von Siemens stimmt.

Im Darmstädter Korruptionsprozess kritisierte Oberstaatsanwalt Ulrich Busch die Vorgänge bei Siemens heftig und brachte sie in Verbindung zu Handlungsweisen, die man vom Drogenhandel, Waffenhandel und Organisierter Kriminalität kenne. Doch jeder weiß es: Organisierte Kriminalität sucht die Nähe zu Politik, um ihren Einfluss geltend zu machen. Die Nähe zur Politik ist eine ihrer wichtigsten Merkmale.

Und diese Nähe zur Politik ist beispielsweise auch erkennbar, wenn der wegen der Korruptionsaffäre frisch installierte Ombutsmann der Siemens AG Hans-Otto Jordan heißt. Er stammt aus der Kanzlei des bayrischen Innenministers Günther Beckstein. Für Siemens ist die Staatsanwaltschaft München zuständig. Der Dienstherr der Staatsanwaltschaft München ist Innenminister Günther Beckstein (CSU). Da schließt sich der Kreis.
Natürlich entsteht hier sofort der Eindruck: Siemens sichere sich den Draht nach ganz oben und habe diese Wahl mit Bedacht getroffen. Die Wahl eines Hans-Otto Jordan ist demnach alles andere als ein Musterbeispiel an Compliance.

Wünschenswert ist es, dass Peter Löscher feinfühlig genug ist, alle Drähte zur Politik zu kappen, um Siemens diese Grauzonen und ihre Interpretationsmöglichkeiten zu ersparen.

5. Aufgabe
Umsatz ja – aber nicht mehr um jeden Preis
Kleinfelds Vorgaben sind hoch: Unter seinem Vorstandsvorsitz erreichte Siemens ein für sie und für ihre Situation geradezu sensationelles Finanz-Ergebnis. Löscher wird es weitaus schwerer haben. Schon allein, wenn Rückstellungen in oben genannter Höhe vorgenommen werden müssen. Auch die "Leichtigkeit des Seins", mit der Kleinfeld noch an die Sache rangehen konnte, gibt es nicht mehr. Immerhin beginnt man zu ahnen, auf welche "schmierige" Weise bei Siemens manch große Umsätze zustande gekommen sind.

Mit Sicherheit war es auch das Vorstandsziel "Umsatz um jeden Preis", das letztlich die Siemens AG in ihre größte Krise geführt hat. Um jeden Preis hieß: Anwendung eines ausgefeilten Korruptions- und Kartell-Know-hows.

Auch im Bereich Umsatz-Realisierung gibt es so etwas wie Nachhaltigkeit: Eine der wesentlichen Ressourcen der Siemens AG war über Jahrzehnte ihr guter Ruf. Der wurde gründlich ruiniert.

Mehr noch: Jetzt darf man Parallelen zum Doping im Radsport ziehen. Dort wurde über Jahre gedopt, mit stillschweigender Billigung des Rennstallbesitzers und Sponsoren. Bei Siemens verhält es sich mit der Korruption nicht anderes. Sie wurde offensichtlich über Jahre stillschweigend gebilligt.

Auf der internationalen Kartell-Konferenz in München am 26. und 27 März dieses Jahres war auch Klaus Kleinfeld, Vorstandsvorsitzender der Siemens AG, geladen. Kleinfeld kündigte an, dass sich Siemens in den nächsten fünf Jahren zum einem "Benchmark" für Compliance und Toleranz entwickeln und somit als Maßstab für andere Unternehmen gelten wolle.
Für Peter Löscher dürfte dies zur eigentlichen Herausforderung werden, an der er sich als Kleinfelds Nachfolger wird messen lassen müssen.
(Siemens: ra)


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